Er singt, sie brüllen
In «Il Traditore» kehrt ein Mann der Cosa Nostra den Rücken. Ein weiser und packender Mafiathriller.

Mafiafilm Wie Raubkatzen scharren die Mafiosi in ihren Gemeinschaftskäfigen im Gerichtssaal in Palermo. Manchmal springen sie ans Gitter und beschimpfen den Verräter Tommaso Buscetta (Pierfrancesco Favino), der gerade vor den Richtern aussagt, den Rücken zu ihnen gekehrt.
Wie gern würden sie ihm in die Augen schauen! Wie sehr sehnen sie sich danach, herauszufinden, ob er, der mit der Omertà der sizilianischen Cosa Nostra gebrochen hat, ihren Blicken standhalten würde, den Blicken seiner Familie, deren Mitglieder er jetzt zu langen Haftstrafen verdammt.
Auch wenn die Maxi-Prozesse in den 80er-Jahren barocken Zirkusvorführungen glichen, konnten mehrere Hundert Angehörige der Cosa Nostra verurteilt werden. Alles dank dem Kronzeugen Tommaso Buscetta (1928–2000) und dem später ermordeten Untersuchungsrichter Giovanni Falcone.
Der italienische Altmeister Marco Bellocchio inszeniert die Gerechtigkeit als theatrale Umkehrung der Perspektive: Statt wie bis anhin von Angesicht zu Angesicht Selbstjustiz zu betreiben, müssen die Mafiosi dabei zusehen, wie einer von ihnen sie vor dem Staat belastet.
Dabei war Buscetta eine widersprüchliche Figur, von den Bossen respektiert und selber an Mordtaten und Drogenhandel beteiligt. Negativ fiel er vor allem wegen seiner Frauengeschichten auf. Mit 40 heiratete er unter anderem Namen seine dritte Frau und lebte mit ihr in Brasilien.
Anfang der 80er-Jahre lieferte ihn die brasilianische Polizei an Italien aus, wo gerade ein Mafiakrieg tobte, in dem die Corleoneser die Cosa Nostra immer brutaler bedrängten und zwei Söhne Buscettas umgebracht wurden. Als sich Buscetta entschied, zu singen, tat er es vor allem aus Rache: Für ihn war das nicht mehr seine, einstmals ehrenhafte Mafia.
«Il traditore» ist halb Kriminellensaga, halb Gerichtsdrama, aber Marco Bellocchio geht es in seiner mit viel Schwung inszenierten Rekonstruktion weniger um politische Verstrickungen der Clans. Das ist ein weiser Regisseur: Er fragt, ob es möglich ist, einem Ideal gerecht zu werden, wenn man gleichzeitig das Gesetz bricht; er fragt, was ein Verräter eigentlich verrät, die anderen oder sich selbst, und ob es dabei je Erlösung geben kann. Alle Darsteller sind hervorragend, und Bellocchio dreht mit 80 Jahren vitalere Filme als manch anderer in diesem Geschäft.
Arthouse Movie / Houdini
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