Niederlage im WembleyZwei Schweizer Geschenke zu viel
Eine gute erste Halbzeit reicht der Mannschaft von Murat Yakin nicht, um in London gegen ein bescheidenes England zu bestehen – das 1:2 ist die erste Niederlage in seinem achten Spiel als Nationalcoach.

Foto: Georgios Kefalas (Keystone)
Am Ende steht Murat Yakin an der Seitenlinie des Wembley-Stadions. Und auf seinen Lippen liegt ein feines Lächeln. Wieso hat er das trotz des 1:2 gehabt, wird der Nationaltrainer der Schweiz später gefragt. Einen kurzen Moment nimmt er sich, um zu antworten. Es gehe um Fussball, sagt er dann, eine Niederlage in einem Freundschaftsspiel müsse man kurz weglächeln.
Ein paar Meter weiter steht Granit Xhaka vor einer Kamera des Schweizer Fernsehens. Und beim Captain ist wenig von Gelassenheit zu spüren. «Zum Kotzen» sei das, sagt er ungefiltert. Gerade elegant tönt er nicht in seinem Ärger. Die Art, wie die Schweiz gegen England verloren hat, bringt ihn auf. Niemand wisse bei dieser Handsregel, wann Penalty sei und wann nicht, sagt er.
1:1 steht es, als im Londoner Wembley die letzte Viertelstunde angebrochen ist. Die Schweizer haben sich das Resultat dank einer guten ersten Halbzeit mindestens verdient, sie verteidigen es in der zweiten Halbzeit ganz ordentlich, bis die Engländer einen Corner treten können und ein Kopfball von Marc Guéhi am ausgestreckten Arm von Steven Zuber landet.
Der Schiedsrichter lässt weiterspielen, der VAR interveniert, der Schiedsrichter schaut sich die Bilder an, korrigiert sein erstes Urteil und gibt einen Penalty für England. «Dafür gibt es den VAR», sagt Yakin. Und versucht zu differenzieren. Zum einen sagt er, man müsse auch das Spiel verstehen: «Zuber kann den Ball gar nicht sehen.» Zum anderen gibt er zu bedenken: «Wir können das nicht ändern - ausser ein nächstes Mal besser zu verteidigen.»
Das Warten auf den nächsten Schritt gegen einen Grossen
Xhaka hört sich weniger versöhnlich an. Er moniert, dass ein Spiel nicht zum ersten Mal auf diese Art entschieden worden sei. Harry Kane ist es egal, was Xhaka denkt, Kane legt sich den Ball auf dem Elfmeterpunkt zurecht, stellt sich breitbeinig hin, nimmt kurz Anlauf und setzt den Ball so wuchtig und präzis in die Ecke, dass kein Goalie dagegen eine Chance haben kann. Kane bestätigt ein weiteres Mal, dass er Elfmeter in Perfektion schiessen kann. 2:1 steht es schliesslich für England.
Unter der Woche hat Xhaka noch davon berichtet, dass die Erwartungen für dieses Jahr sehr hoch seien. Die Erwartungen heissen: einen nächsten «Step» zu machen. Und nächster Schritt bedeutet für ihn: «Dass wir eine grosse Mannschaft nicht nur einmal schlagen, sondern drei-, vier-, fünfmal.»
Gegen Frankreich gewann die Schweiz im vergangenen Sommer, wenn auch erst im Elfmeterschiessen. Gegen Spanien verlor sie den folgenden Viertelfinal, wenn auch erst im Elfmeterschiessen. Das neue Jahr bietet schon vor der WM im November genügend Gelegenheiten dazu, gegen die Prominenz weiter zu lernen. Spanien und Portugal sind (neben Tschechien) Gegner in der Nations League.

Foto: Claudio Thoma (freshfocus)
Zur Einstimmung gibt es also gleich dieses Spiel in London gegen den Finalisten der letzten EM. Statistisch ist es ein Vergleich zwischen David und Goliath: Die Schweiz hat bis zu diesem Samstag nur 3 von 30 Spielen gewonnen, das letzte 1981. Fussballerisch steht ihr im Wembley kein Goliath gegenüber. England zeigt sich alles andere als in Galaform.
Dass Gareth Southgate ein paar unerfahrenen Spielern Auslauf gibt, ist spürbar. Dass seine Mannschaft gerade während der ersten Halbzeit wenig Euphorie und Inspiration verrät, ist leicht erkennbar. Das wird zur Möglichkeit für die Schweizer, das Kommando zu übernehmen. Und das machen sie auch, angeführt von Xhaka, der erstmals seit dem Frankreich-Spiel wieder für sein Land im Einsatz steht.
Xhaka ist es, der mit seinem Flachschuss Jordan Pickford zu einer ersten Parade zwingt. Ein paar Sekunden später, Silvan Widmers Offsideposition bleibt zuvor unbeachtet, findet Xherdan Shaqiri mit seiner Flanke Breel Embolo. Und der profitiert vom Stellungsfehler von Ben White. Per Kopfball bringt er die Schweiz in Führung.
Fortan zeigt sie gar einen tadellosen Auftritt, Pickford kann dank eines hervorragenden Reflexes eine wuchtige Direktabnahme von Fabian Frei an die Latte lenken. Ricardo Rodriguez prüft Englands Goalie mit seinem tückischen Weitschuss, Embolo verzieht den Nachschuss.
Und Yakin sagt: «So, abhaken. Besser machen»
Die Schweizer dürfen später zu Recht von guten ersten 45 Minuten berichten. Dummerweise für sie dauert die Halbzeit ein paar Sekunden länger. Frei, in Abwesenheit von Fabian Schär und Nico Elvedi wieder im Abwehrzentrum nominiert, begeht einen Fehler, den ein Spieler mit seiner Routine nicht begehen sollte. Statt den Ball weit wegzuschlagen, will er einen Angriff von nahe der Grundlinie aus aufbauen. Kyle Walker-Peters fängt den Ball ab, der landet schliesslich auf der anderen Seite bei Luke Shaw. Gegen seinen harten Schuss aus 16 Metern ist Jonas Omlin, der Stellvertreter von Yann Sommer, machtlos.
Das ist das erste Geschenk, das die Schweiz dem Gegner macht. Das zweite ist der Elfmeter, bei dem Zubers Ungeschicklichkeit bestraft wird. Am Ende brauchen sich die Schweizer deshalb über die Niederlage nicht zu wundern. Vor der Pause fehlt ihnen die Effizienz im Abschluss, nachher ist ihr Auftritt kein grosses Erlebnis mehr. Die Struktur in ihrem Spiel geht verloren, was auch mit den vielen Wechseln zu tun hat. Jedenfalls kommen sie zu keiner Chance mehr.
In seinem achten Spiel als Coach hat Yakin erstmals verloren. Mit ein paar Minuten Distanz zum Match sagt er: «So, abhaken. Besser machen.» Am Dienstag besteht schon die erste Möglichkeit dazu. Im Letzigrund testet die Schweiz gegen Kosovo. Dann ist sie das, was England im Wembley gewesen ist: der klare Favorit.
Thomas Schifferle ist seit 1979 Sportjournalist. Seit 1995 arbeitet er in der Sportredaktion bei Tamedia.
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