Zweifel und Verzweiflung bei der SPD
SPD-Chefin Andrea Nahles will trotz der Wahlniederlage in Bayern an der Koalition in Berlin festhalten.

So gespenstisch wirkte Andrea Nahles' Auftritt noch nie. Als sie am Sonntagabend, sichtlich erschüttert, das Debakel der Sozialdemokraten in Bayern mit wenigen Sätzen kommentierte, war das Berliner Hauptquartier menschenleer. Um Geld zu sparen und weil die Niederlage ja mit Ansage kam, hatte man die übliche Wahlparty kurzerhand abgesagt. Und schon ergänzten sich politische Tristesse und räumliche Trostlosigkeit perfekt.
Wahlen in Bayern waren für die Genossen immer schwierig gewesen, aber nur wenige hatten es für möglich gehalten, dass die SPD diesmal gleich mehr als die Hälfte ihrer Wähler verlieren und unter die 10-Prozent-Marke fallen würde. Der Absturz wirkte umso besorgniserregender, als auch fast überall sonst in Deutschland die Zeichen auf Niedergang stehen.
Keine Volkspartei mehr
In nationalen Umfragen hat die SPD seit der letzten Bundestagswahl vor einem Jahr erneut fast ein Viertel ihrer Anhänger eingebüsst. Mit kaum mehr als 15 Prozent wurde sie zuletzt in mehreren Umfragen nicht nur von der Alternative für Deutschland ein- oder überholt, sondern auch von den Grünen. Eine Volkspartei sind die Sozialdemokraten seit längerem nur noch in ihren Stammlanden im Norden und Nordwesten Deutschlands.
An der Basis der Partei und an deren linkem Flügel glaubt man den Grund für die lebensbedrohliche Krise längst zu kennen: die Beteiligung an der Regierung mit CDU und CSU in Berlin. Die Koalition sei eine Zwangsjacke für die SPD, sagen längst nicht mehr nur jene, die von Beginn weg gegen das neuerliche Mitregieren waren, und schnüre ihr zunehmend die Luft ab. «Raus aus der Regierung!», so tönt es der Spitze der Partei nun immer schriller entgegen.
Aus Nahles' Sicht ist nicht die Regierungsarbeit der SPD, sondern der ewige Streit zwischen CDU und CSU am verheerenden Bild schuld, das die Koalition in den letzten Monaten abgegeben habe. Vor allem deswegen seien Sozial- wie Christdemokraten in Bayern vom Wähler so hart bestraft worden. Die Regierung, so Nahles, müsse nun dringend zu guter Sachpolitik zurückkehren, ansonsten habe die Koalition keine Zukunft mehr. Bereits vor der Wahl hatte Nahles dafür auch Kanzlerin Angela Merkel in die Pflicht genommen. Die CDU-Chefin müsse die Regierung künftig viel energischer führen. Rote Linien wollte Nahles am Montag keine ziehen. Sie werde die Regierungsbeteiligung der SPD nicht nur vom Ergebnis von Regionalwahlen abhängig machen, sondern von der Frage, «inwieweit wir Themen umsetzen können». Die SPD habe gute Ideen für eine gerechte Zukunft, ergänzte Parteivize Ralf Stegner: «Da geht es nicht um die angeblich drohende Islamisierung des Dorfes, sondern um Wohnen, Rente, Bildung, Arbeit und ein soziales Europa.»
Weg von Hartz IV
Nahles kündigte gleichzeitig an, die programmatische Neuausrichtung der Partei zu beschleunigen: «Die SPD muss sich vom Ballast der Vergangenheit befreien.» Ein neues Konzept für ein Sozialstaatsmodell 2025 solle eine Antwort auf die Frage bieten: «Was kommt nach Hartz IV?» In einem Interview in der «Zeit» hatte sie erklärt, dass sich die SPD endlich aus dem gedanklichen Gefängnis von Gerhard Schröders Agendapolitik lösen müsse, um Antworten auf die neuen Herausforderungen des digitalen Kapitalismus zu geben.
Die SPD-Spitze war am Montag sichtlich bemüht, den Aufruhr in der Partei ernst zu nehmen, aber gleichzeitig auch zu besänftigen. Vor der nächsten Landtagswahl, die bereits in elf Tagen in Hessen stattfindet, könnten Panik und Chaos nur schaden, hiess es.
Bleibt die SPD in der Koalition, verzwergt sie. Steigt sie aus, wird sie in Neuwahlen zerrieben.
Im Unterschied zu Bayern gibt es für die SPD in Hessen unter Umständen gar etwas zu gewinnen. Sie tritt dort mit dem 49-jährigen Thorsten Schäfer-Gümbel zur Wahl an und steht in den Umfragen immerhin bei 23 Prozent. Das reicht kaum, um die CDU von Ministerpräsident Volker Bouffier abzulösen, aber allenfalls, um als Juniorpartner endlich wieder einmal mitzuregieren. Wie in Bayern sind aber auch in Hessen die Grünen starke Konkurrenten. Sie haben in den vergangenen fünf Jahren mit den Christdemokraten erfolgreich koaliert und liegen in den Umfragen nur wenige Prozentpunkte hinter der SPD.
Sollte die SPD aber auch in Hessen untergehen, wird es Nahles schwerfallen, die Rufe nach einer Aufkündigung der Grossen Koalition weiter zu ignorieren. Nüchtern betrachtet, bietet die Lage der SPD derzeit allerdings kaum Auswege: In der zerrütteten Regierung verzwergt sie ungebremst. Sprengt sie aber die Regierung, dürfte es zu Neuwahlen kommen, in denen sie vermutlich zerrieben wird.
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