Zwischen Traum und Albtraum
In seiner Doku-Collage «Glauser» stellt der Zuger Filmer Christoph Kühn die Traumata des Schriftstellers Friedrich Glauser nach.
Glauser gilt vielen immer noch als Autor von scheinbar biederen Kriminalromanen rund um den behäbigen Wachtmeister Studer. Geschrieben hat er die fünf Bücher in seinen letzten drei Lebensjahren, die eigentlich seine glücklichsten waren, da ihm seine Verlobte Berthe Bendel - sie kommt in Kühns Film dank einem alten TV- Interview selber zu Wort - den Rücken stützte.
Vor der Begegnung mit Bendel lag eine jahrzehntelange emotionale Achterbahn: Die geliebte Mutter verstarb, als Friedrich vier Jahre alt war, dem Vater konnte er es nie recht machen. Dieser steckte ihn erst in ein Erziehungsheim und dann in ein Genfer Gymnasium - aus beiden Bildungsanstalten wurde der aufmüpfige Zögling unehrenhaft entlassen.
Weitere Stationen waren Matura in Zürich, Mitwirkung im dortigen Dada-Zirkel, Entmündigung wegen «Liederlichkeit», Fremdenlegion, Kohlebau in Belgien und immer wieder Verhaftungen wegen Morphium, Abschiebung und schliesslich eine längere Anstaltskarriere.
Letzte Flucht
Regisseur Kühn lässt das Meiste mit Glausers eigenen Worten aus dem Off erzählen, mit autobiografischen Texten und Briefauszügen. Szenen aus der Kindheit in Wien lässt er nachspielen. Fotos zeigen den «realen» Glauser, Binders Schabkarton-Illustrationen dessen rauschhaften Zustände und Träume. Kommentare von Literatur- und Psychiatrie-Experten würdigen Glausers anhaltende Bedeutung.
Das alles ist schön und in sich stringent zusammenmontiert. Vielleicht hätte man sich hier oder dort mehr Vertiefung gewünscht und dabei auf allzu oft wiederholte Symbole - ein Fenstergitter in Form eines stilisierten Spinnennetzes etwa - verzichtet.
Das vielleicht Erschütterndste im Film ist eine Aussage des Literaturwissenschaftlers und -kritikers Hardy Ruoss, der die erste Dissertation über den Krimi-Pionier Glauser verfasst hat. Glausers Tod 1938 im italienischen Nervi sei seine letzte Flucht gewesen - die vor der geplanten Hochzeit mit Berthe Bendel. Als ob er sich nicht für würdig gehalten hätte, ein glückliches Leben führen zu dürfen.
Deutschschweizer Kinostart 4.1.
SDA/phz
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